Aus den "Gesichten", von Berthold Brecht, 10.05.1945

Als sie nun die Stadt gebaut hatten, kamen sie zusammen und führten einander vor ihre Häuser und zeigten einander die Werke ihrer Hände. - Und der Freundliche ging mit ihnen, von Haus zu Haus, den ganzen Tag über, und lobte sie alle.

Aber er selber sprach nicht vom Werk seiner Hände und zeigte keinem ein Haus. - Und es ging gegen Abend, da, auf dem Marktplatz, trafen sie sich wieder alle, und auf einem erhöhten Brettgerüst trat jeder hervor und erstattete Bericht über die Art und Größe seines Hauses und die Baudauer, damit man ausfinden konnte, welche von ihnen das größte Haus gebaut hatte, oder schönste in wieviel Zeit, - Und nach seiner Stelle im Alphabet wurde auch der Freundliche aufgerufen. - Er schien unten, vor dem Podium, und einen großen Türstock schleppend, - Er erstattete seinen Bericht. - Dies hier, der Türstock, war, was er von seinem Haus gebaut hatte. - Es entstand ein Schweigen. - Dann stand der Versammlungsleiter auf. - „Ich bin erstaunt", sagte er und ein Gelächter wollte sich erheben. Aber der Versammlungsleiter fuhrt fort: „Ich bin erstaunt, daß erst jetzt die Rede darauf kommt. Dieser da war während der ganzen Zeit des Bauens überall, über dem ganzen Grund und half überall mit. Für das Haus dort baute er den Giebel, dort setzte er ein Fenster ein, ich weiß nicht mehr, welches, für das Haus gegenüber zeichnete er den Grundplan. Kein Wunder weiter, daß er hier mit einem Türstock erscheint, der übrigens schön ist, daß er aber selber kein Haus besitzt.

In Anbetracht der vielen Zeit, die er für den Bau unserer Häuser aufgewendet hat, ist der Bau dieses schönen Türstocks ein wahres Wunderwerk, und so schlage ich vor, den Preis für gutes Bauen ihm zuzuerteilen."



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